Selbstwirksamkeit - was ist das eigentlich?

Im Jahr 1967 war Kathrine Switzer die erste Frau, die offiziell den bekannten Boston Marathon lief. Um nicht von vornherein ausgeschlossen zu werden, schrieb sie ihren Vornamen auf den Anmeldedokumenten nicht aus, sondern gab nur ihre Initialen (K.V.) an. Zu jener Zeit war es Frauen untersagt, bei Wettkämpfen dieser Lauflänge teilzunehmen. Es galt als unangebracht, da angenommen wurde, dass sie ihre Weiblichkeit verlieren würden und es der körperlichen Gesundheit schädigen würde, wenn sie sich sportlich betätigten. Indem Kathrine Switzer den Marathon bis zum Ende lief, schaffte sie es, den Fokus auf diese Ungleichberechtigung zu lenken. Dadurch wurden über die nächsten Jahre die Regeln so angepasst, dass Frauen offiziell an organisierten Rennen teilnehmen durften und immer mehr Frauen trauten sich, ihr zu folgen.

Manche Sachen gelten als unmöglich bis sie erreicht werden. Wie Menschen Hindernisse und Schwierigkeiten interpretieren, ist von entscheidender Bedeutung für die Leistungsfähigkeit und die eigene Selbstwirksamkeit.

Laut Schwarzer und Jerusalem wird die Selbstwirksamkeitserwartung als die persönliche Gewissheit einer Person verstanden, neue oder schwere Situationen aufgrund eigener Fähigkeiten, Wissen und Stärke ermöglichen zu können. Hierbei ist speziell die Rede von Aufgaben, die Anstrengung und Ausdauer erfordern und nicht alleinig durch einfaches Geschick lösbar sind. Es ist der Glaube, aus eigener Kraft etwas gestalten zu können.

Die Ausprägung der Selbstwirksamkeit einer Person entscheidet darüber, ob ein Verhalten eingeleitet wird, wie viel Anstrengung dafür aufgewendet und wie lange eine Handlung trotz Widerstände aufrechterhalten wird und hat einen positiven Effekt auf die Mitmenschen. Die Nachricht über Switzers Errungenschaft verbreitete sich schnell in der Welt und gilt als Beginn des Wandels im Frauenlauf und im allgemeinen Frauensport. Wenige Jahre später war es Frauen offiziell erlaubt, am Boston Marathon teilzunehmen und heutzutage liegt der Frauenanteil bei Marathonläufen bei rund 30% weltweit, in den USA liegt er sogar in der Nähe der 50% Grenze. Frauen haben somit ihre eigene Selbstwirksamkeitserwartung erhöht, weil sie gesehen haben, dass es machbar ist. Sie haben sich dabei eine Technik zu eigen gemacht, die sehr erfolgreich dabei hilft, die eigene Selbstwirksamkeit zu steigern: Nachahmen beziehungsweise das stellvertretene Lernen. Dabei beobachtet die Person Vorbilder, wie diese erfolgreich Aufgaben bewältigen und Ziele erreichen, die den eigenen ähneln und zieht dabei Schlussfolgerungen für sich selbst. Ganz im Sinne des Mottos: „Wenn sie das kann, dann kann ich das auch.“

Wenn sie das kann, dann kann ich das auch.

Das Konzept der Selbstwirksamkeit basiert auf der sozial kognitiven Theorie von Bandura; ein Ansatz, bei dem davon ausgegangen wird, dass wir unsere Umwelt aktiv gestalten und nicht nur passiv auf sie reagieren. So können mentale und motivationale Methoden sowie solche, die emotional und handlungsaktivierend sind, durch subjektive Überzeugungen gesteuert werden.

Selbstwirksamkeit ist jedoch nicht eine Fähigkeit, eine Prognose über Verhalten, eine zufällige Attribution oder eine Eigenschaft. Selbstwirksamkeitsüberzeugungen entwickeln sich im Laufe der Zeit und durch Erfahrung. Es wird davon ausgegangen, dass die Entwicklung solcher Überzeugungen in der Kindheit beginnt und sich im Laufe des Lebens fortsetzt. Dazu werden vier primäre Quellen herangezogen: Selbsterlebte Erfolge stärken die eigene Selbstwirksamkeitserwartung; Misserfolge im Gegenzug können sie abschwächen, solange das Gefühl der Wirksamkeit noch nicht gefestigt wurde. Des Weiteren kann die bereits erwähnte Quelle des stellvertretenden Lernens zu einer Erhöhung der Selbstwirksamkeit beitragen. Wichtig ist hierbei, dass die Beobachterin einen Bezug zum Vorbild hat, um ähnliche Aktivitäten zu meistern, die zu Erfolg führen können. Ein weiterer Einfluss ist durch soziale Überzeugungen gegeben. Wenn es im Umfeld des Betroffenen Menschen gibt, die einen darin bestärken können, dass sie die Fähigkeiten dazu haben, dann wird dadurch die Selbstwirksamkeit erhöht. Sie haben die Kraft, Selbstzweifel und subjektive Hindernisse hinter sich zu lassen. Eine weitere Möglichkeit ist, dass zumeist negativ interpretierte Stressreaktionen, wie z.B. Anspannung oder Schwitzen, die mit Angst und Unsicherheit einhergehen können, in ein neues Licht gesetzt und neu gedeutet werden. So können dieselben körperlichen Anzeichen auch als leistungsfördernd und anspornend betrachtet werden. Dies wiederum steigert das eigene Maß der Effektivität und trägt zu einer förderlichen Wahrnehmung der Selbstwirksamkeit bei.

Die Wissenschaft mit dem Glauben an seine eigene Fähigkeit, etwas erfolgreich zu tun, gehört zur positiven Psychologie, die sich bewusst mit den Stärken und positiven Erfahrungen der Menschen beschäftigt. So ist inzwischen belegt, dass eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung die Chance auf Erfolg steigert und mit einem gestärkten Immunsystem assoziiert wird. Außerdem geht es mit einem optimistischen Ausblick der Zukunft einher und Menschen mit hoher Selbstwirksamkeitserwartung haben die Überzeugung, dass sie gestalten können und sind zufriedener mit ihrem Leben.

Dies ist ein modifizierter Auszug aus meiner Bachelorarbeit “Sich seiner Selbst bewusst sein”.


Die Quellen sind in der Reihenfolge der Nutzung aufgeführt.

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